BIO

NICHTS ALS DIE WAHRHEIT

Gegendarstellung

I

Es ist wohl üblich, wenngleich nicht sonderlich interessant, den Werdegang der Band in solchen Selbstbeschreibungen wiederzugeben. Dies soll hier in aller Kürze geschehen: Die Freunde Veltmann und Jörg beschlossen im Februar 1998, nachdem beide keinen Studienplatz für das Fach Sozialpädagogik bekommen hatten, ein freiwilliges soziales Jahr in Namibia zu absolvieren. Schon am Flughafen von Windhuk, der Hauptstadt dieses südwestafrikanischen Staates, lernten die Freunde den gebürtigen Rheinländer Hendrik kennen, der dort einer aussichtslosen Anstellung als Kofferträger nachging. Die drei waren sich auf Anhieb sympathisch und verabredeten sich für das kommende Wochenende in der Küstenstadt Lüderitz, Veltmanns und Jörgs neuem Erfüllungsort. Am besagtem Wochenende erschien Hendrik tatsächlich am verabredeten Ort, besichtigte den Rohbau des neuen Schulgebäudes, an dessen Fertigstellung Veltmann und Jörg ohne großen Eifer beteiligt waren, und entschied völlig spontan, dort zu bleiben. Von diesem Zeitpunkt an wohnten die Drei in einer kleinen Bambushütte, kümmerten sich mit herzerweichender Hingabe um die zahlreichen Lüderitzer Waisenkinder und beteiligten sich nur noch sehr selten am Bau des neuen Schulgebäudes. Stattdessen lernte Veltmann die Kunst der Surferei, während Jörg und Hendrik ihre Zeit dem Studium der Musikologie widmeten. Aus Kokosnussschalen, Gestein aus dem naheliegenden Auasgebierge und den Stämmen eines bambusähnlichen Baumes fertigten sie bis in die späten Abendstunden selbstgemachte Musikinstrumente an, mit denen sie allabendlich kleine Konzerte auf der Veranda ihrer Bambushütte für die armen Waisenkinder gaben. In der kleinen Stadt am atlantischen Ozean wurden die Drei bald nur noch Ghjwopgvfdklefpojhfre genannt, was frei übersetzt etwa Deine Eltern bedeutet. Eines Tages schenkte ein amerikanischer Tourist den jungen Männern einen alten Kassettenrekorder. Somit war der Grundstein für die ersten Musikaufnahmen der Gruppe gelegt. Der Sommer in Namibia verging wie im Fluge und als das Schulgebäude auch ohne die Hilfe der Drei fertiggestellt war, konnten die Kinder nicht mehr so lange aufbleiben, um die abendlichen Konzerte von Deine Eltern zu erleben. Mehr intuitiv merkte die Band, dass ihre Zeit in diesem Tropenparadies abgelaufen war, und so entschieden sie sich, ihr freiwilliges soziales Jahr vorzeitig abzubrechen und mit einer beneidenswerten Bräune nach good old Germany zurückzukehren. Sie fassten den Entschluss, das glückliche Lächeln, das sie mit ihren Liedern in die Gesichter der namibischen Waisenkinder gezaubert hatten, auch den deutschen Kindern zuteil werden zu lassen...

 

II.

 

Nachdem die Band bis ins Jahr 2008 in dieser Formation vor netten Menschen, Trollen, Fußballspielern und Lemuren gespielt und sich dabei wie Bolle amüsiert hatte, entdeckte Veltmann bei einem Wochenendausflug ins französische St.-Jean-de-Monts neben seiner Vorliebe für den dekadenten Lebensstil auch seine wahre Leidenschaft wieder: Die Surferei. Nach einem Bandausflug nach dem rheinland-pfälzischen Ingelheim fuhr er die Bandausrüstung in den Proberaum, setzte seine Bandkollegen an ihren Wohnorten ab und war seitdem nicht mehr gesehen. Halbwegs zuverlässige Quellen wollen ihn danach im australischen Scarborough die Wellen reiten gesehen haben.

Hendrik und Jörg waren mehr als nur unsicher, wie sie den Platz hinter dem Schlagzeug neu besetzen sollten. Deshalb wanderten sie einige Stunden stadtauswärts zum Orakle von Delhoven, von dessen kryptischen Weissagungen sich verzweifelte Seelen seit jeher einen Einblick in die Zukunft und die ewige Wahrheit des Weltganzen versprachen. Nachdem sie dem Orakel einige Gaben, die die beiden für solche Zwecke als geeignet ansahen, geopfert hatten, erhob sich eine leise Fistelstimme aus dem Dunkel und sprach:

 

Ihr, die Ihr sucht, den rechten Mann
fangt eure Suche schon vorgestern an
Was die törichte Zeit so schnell zerreißt
findet ihr dort, wo man Ewiges preist.
Wählt klug den Weg, trefft klug eure Wahl
Trefft den Herrscher der Schlangen am großen Portal
Helft ihm bezwingen, was ihm fällt zur Last
und suchet den Stein, der zum Spielbrett passt.
Und Stunde um Stunde die Zeit vergeht
Seht ihr den Ersehnten, wenn der Odem sich dreht.

 

Damit verstummte die Stimme. Hendrik steckte sich eine Camel Filter an, inhalierte gierig den Rauch und im Ausatmen formten seine Lippen tonlos ein "Was?". Auch Jörg blickte niedergeschlagen zu Boden. Er scharrte mit den Schuhen durch den Kies und formte Fragezeichen. Nach einer Weile sahen sie sich schulterzuckend an und beschlossen fürs erste eine Bibliothek aufzusuchen. Einen Anfang mussten sie ja machen und vielleicht verbarg sich ein geheimer Code hinter einem der Verse. Also stiegen sie in die S-Bahn nach Köln und stellten Mutmaßungen darüber an, wie sie den Orakelspruch deuten könnten. Ein junger Mann mischte sich ein, wollte wissen, um was es gehe und bot seine Hilfe zur Lösung an. Sein Name war Matthias und er saß zufällig in Hörweite der beiden Elternteile. Hendrik und Jörg berichteten davon, dass ihnen der Schlagzeuger abhanden gekommen sei und was ihnen das Orakle von Delhoven geweissagt hatte. Matthias wusste den Code ebenfalls nicht zu dechiffrieren, wie sich aber herausstellte, war er erfahrener Schlagzeuger, Organist und Trompeter. Also beschloss man die Lösung des Rätsels aufzuschieben, zu dritt in den Proberaum zu fahren und die musikalischen Fähigkeiten der S-Bahn-Bekanntschaft zu erproben. Wie sich herausstellte, war Matthias nicht nur überaus begnadet am Schlagzeug, sondern fügte sich auch in die Gemeinschaft der Elternbande wie das fehlende Teil in ein unvollendetes Puzzle ein.

 

Und so hat das Orakel von Delhoven wieder einmal drei verirrte Seelen zu ihrer Bestimmung geführt.